Was ist Collaborative Learning?

Collaborative Learning bedeutet gemeinschaftliches Lernen in der Gruppe. Anstatt individuell Aufgaben anzugehen, arbeiten die Gruppenmitglieder gemeinsam an einer Problemlösung. Sie tauschen sich aus, diskutieren, planen und analysieren. Im Arbeitsprozess lernen die Teilnehmenden, dass Wissen kein fertiges Produkt ist, das ihnen von einer Autorität (z.B. der Lehrperson) injiziert wird. Wissen ist eher ein soziales Konstrukt, das im Diskurs entsteht. So kreieren die Gruppenmitglieder in einem emergenten, interaktiven Prozess Wissen. Zum Lernprozess gehört auch, Verantwortung für die eigene Arbeit zu übernehmen und gleichzeitig Vertrauen in die anderen Gruppenmitgliedern zu entwickeln. (Bruffee 1984: 645 ff)

In Forschung und Praxis finden sich viele unterschiedliche Definitionen und Modelle für Collaborative Learning. Dabei gibt es kein Richtig oder Falsch. Vielmehr ist eine Vielzahl an Modellen, die in unterschiedlichen Kontexten Anwendung finden, notwendig, um das Theorie- und Praxisverhältnis in Einklang zu bringen. (Renkl/Mandl 1992: S. 281-285)

Geschichte

Collaborative Learning ist eine relativ neue Unterrichtsmethode, die sich erst langsam in den Klassenzimmern etabliert.

Der Begriff selber wurde in den 1950er und 1960er von einer Gruppe britischer Lehrer und eines Biologen geprägt. Insbesondere ist hier Edwin Mason als Bildungswissenschaftler zu benennen (Bruffee 1984: 4), der sich  zu dem Thema wie folgt äußerte:

"I cannot think of any part or moment of life in which we are not reacting to the presence of other people [...]."(Brufee 1984: 5)

Gerade in den 1960er Jahren entwickelten sich zunehmend soziale Lerngruppen im Bildungssbereich, die Collaborative Learning zunehmend umsetzten. Dies führte u.a. zu einer radikalen Veränderung der Konzeption von Lernen und Bildung (Bruffee 1984: 5)

Die Effekte von Lerngruppen im Sinne des Collaborative Learnings bestehen auch in einer positiven Veränderung von Einstellungen und Werten im Zusammenhang mit der Gruppenarbeit. (Bruffee 1984: 4 f.)

Diese Effekte müssen als weiterer Vorteil von Collaborative Learning bis heute noch (an)erkannt und sowohl im universitären und schulischen Bereich als auch darüber hinaus verstärkt umgesetzt werden.

Trotz der vielen Meilensteine auf dem Weg zum Collaborative Learning, gibt es bis heute noch Schwierigkeiten bei der gesellschaftlichen Anerkennung dieses Konzeptes. Die Leistungsgesellschaft, in der wir leben, will möglichst viel und besser "leisten", Fakten schaffen und schnelle Erfolge haben. All dies scheint nur durch ein individuelles Arbeiten, ohne "zeitraubende" Diskussionen im Team möglich.

Dass ihr auf dieser Website gelandet seid, ist ein erster Schritt in Richtung Zukunft im Sinne des "Wissen schaffens" durch Collaborative Learning.

Beispiele

Ende der Fließbandarbeit

Volvo und Saab, zwei schwedische Autohersteller, haben damit begonnen, die menschenunwürdige Fließbandarbeit in ihren Fabriken abzubauen. Sie wollen ihren Mitarbeitern bessere Arbeitsmöglichkeiten schaffen, indem sie diesen mehr Eigenverantwortung und -initiative bieten. In der praktischen Umsetzung sieht das ganz so aus, dass mehrere Arbeiter zusammen an einem Auto arbeiten, anstelle, dass jeder eine gleichbleibende Arbeit verrichtet (Bruffee 1973: 635).

Anwendung in der Universität

Peertutoring als Arbeitskonzept findet in verschiedenen Bildungskontexten  Einsatz. Beipielsweise teilte ein junger Collegelehrer die 130 Studierenden einer Literatureinführungs-veranstaltung in Gruppen, die sich mit einer zugeteilten Geschichte selbstständig befassen sollten. Für jede Sitzung wurden den Teams neue Fragen zu Bearbeitung gegeben. Die Dozentin suchte jede Gruppe einzeln auf, um für diese eine Weile präsent zu sein und gab zudem Input in Form einer Vorlesung. In der Weise wie dieser Literaturkurs stattfand hatte jeder der Studierenden die Möglichkeit dreimal in der Woche über die Literatur zu diskutieren. Die Arbeitsform intensivierte die Beschäftigung der Personen mit der Thematik des Kurses (Bruffee 1973: 636 – 637).

Stadtplanung der Anwohner

Stadtplanung ist nun nicht mehr nur Angelegenheit der Stadt und der Bauunternehmen, sondern bezieht alle Einwohner ein. Die Gemeinschaft in der z.B. eine neue Schule gebaut werden soll, wird jetzt teil der Planung. Diese neue Methode, mit der Collaborative Learning in dem Prozess der Stadtplanung angewendet wird, nennt man auch „Charrette“(Bruffee 1973: 634 - 635).

Medizinisches Peer Tutoring

Nach dem Motto „Wer schlechtes Verhalten lehren kann, kann auch gutes Verhalten lehren” arbeiten eine wachsende Anzahl neuer Jugendgesundheitsprogramme in der Nähe von New York. Den Schülern soll Wissen zu präventiver Medizin vermittelt werden, um mit diesem einen Einfluss auf Gleichartige auszuüben. In dem Projekt arbeiteten 30 High-School Schüler für das letzte Semester als Freiwillige in einem Krankenhaus, wo sie Aufgaben wie Büroarbeit, Gespräche mit den Patienten oder Reinigungsarbeiten übernahmen. Eine andere Gruppe sollte ihre Klassenkameraden zum Thema Drogen informieren. Die dritte Gruppe wurde zu allgemeinen Gesundheitsberatern ausgebildet (Bruffee 1973: 635).

Rahmenbedingungen für Collaborative Learning

Collaborative Learning kann insbesondere bei der Umsetzung in Schulen auf Schwierigkeiten stoßen. Forschungen besagen, dass bestimmte Bedingungen erfüllt sein müssen, damit es zu einem Lernerfolg im Kontext von Collaborative Learning kommt. (Renkl/Mandl 1995: 293)

Die wichtigsten Rahmenbedingungen sind auf 5 Ebenen zusammenzufassen:

1. Lernebene (Lernender will lediglich den Arbeitsaufwand durch Cooperative Learning einschränken)

2. Aufgabe (Aufgabenerfüllung durch Koordination der individuellen Ressourcen der Einzelnen)

3. Anreizstruktur (klare Konsequenzen aus der Arbeit)

4. Organisatorischer Rahmen 

5. Strukturierung der Interaktion (Renkl/Mandl 1995: 293- 296)

Hierbei handelt es sich um Problemebenen des Collaborative Learning , die nicht autonom zueinander betrachtet werden dürfen. Sie stehen in Wechselwirkung zueinander. (Renkl/Mandl 1995: 293, 297)

In der Praxis hat sich gezeigt, dass Collaborative Learning auch Erfolg haben kann, wenn nicht alle Bedingungen erfüllt sind. Defizite einer Bedingung können durch andere vorliegende Bedingungen ersetzt werden. Bestimmte Bedingungen sind jedoch unbedingt für ein erfolgreiches Collaborative Learning Voraussetzung (Renkl, Mandl, 1995: 297 f.).

 

 

Praktische Methoden

Kontroverse

Collaborative Learning wird in vielen Bereichen des Lebens angewendet (z.B. in Lerngruppen, Schülervertretungen, Bücherclubs, politische Organisation, Debattierclub,etc.).

Gerade deshalb erscheint es so paradox, dass in der Schule Collaborative Learning auch heutzutage immer noch häufig als eine schlechte Arbeitsweise verschrien ist. Viele Lehrer und auch Schüler haben kein Vertrauen in die Methode.

Dabei kann es soweit gehen, dass wenn Schüler X von dem Schüler Y gezeigt bekommt wie man richtig schreibt, der Lehrer den Schüler X für „Schummeln“ bestraft (Bruffee 1973: 636). In Akademischen Zirkeln wird immer noch viel zu oft nach dem Lehrer-Schüler System unterrichtet. Dabei ist das einzig wichtige die Beziehung des Schülers zum Lehrer und nicht zu seinen Mitschülern. Das kann zur Isolation der Lernenden von einander führen und dadurch zu einer Stressvergrößerung.

Aber warum ist Collaborative Learning in der Schule so unerwünscht, wenn es doch im Alltag viel zur Anwendung kommt?! Es liegt an den vielen Vorbehalten, sowohl auf Seiten der Lehrer und Dozenten wie auch auf Seiten der Schüler, Studierenden und Eltern. Kritisiert werden:

1. Ohne "allwissende Autoritätsperson" gibt es keine verlässliche Wissensquelle. Von einer erfahrenen Lehrkraft kann man mehr lernen als von anderen Lernenden.

2. Bei unterschiedlichem Wissenstand profitieren nur die, die weniger Kenntnisse mitbringen. Die anderen können ihren Wissenstand nicht erweitern, weil sie zu beschäftigt damit sind, dem Rest der Gruppe ihr eigenes Wissen zu kommunizieren.

3. Die Lehrkraft wird überflüssig.

4. Es entsteht schnell Unruhe im Klassen/Seminarraum (Renkl/Mandl 1995: 292).

 

 

 

Kollaboratives Peer Tutoring

Auch im Peer Tutoring spielt Collaborative Learning eine Rolle. Peer Tutoring-Maßnahmen gibt es mittlerweile an vielen Einrichtungen. Allerdings lassen sich zwei verschiedene Typen von Peer Tutoren unterscheiden: der Monitor-Typ und der kollaborative Typ.

Der Monitor-Typ stellt im Prinzip einen Lehrer-Ersatz dar. Meist handelt es sich hier um ausgewählte ältere Schüler oder Studenten, die von den Lehrern zum Tutor ernannt wurden, weil sie sich durch sehr gute Noten auszeichnen. Dies wird auch dem Tutee gegenüber kommuniziert. Hier gibt es also ein Hierarchiegefälle zwischen Tutor und Tutee. Ein gleichrangiger Austausch ist hier kaum möglich, da sich der Tutee unterlegen und minderwertiger gegenüber dem Tutor als Autoritätsperson fühlt.

Im Gegensatz dazu steht der kollaborative Typ. Der kollaborative Typ kann eher als "Freund und Helfer" verstanden werden, der auf gleicher Ebene mit dem Tutee kommuniziert. Er gibt keine Anleitungen in dem Sinne, dass er in seinem Wissen überlegen ist. Stattdessen findet ein Erfahrungsaustausch statt; Tutor und Tutee treten in einen Diskurs, in dem beide Meinungen berücksichtigt werden. Der kollaborative Tutor sollte seinem Tutee bewusst machen, dass er keine lehrerähnliche Autoritätsperson ist, sondern eher ein Kommilitone, der Ratschläge gibt. Seinen Tutee sollte er nicht als Schüler betrachten, sondern als ebenbürtigen Kommilitonen, der eigene Expertise mitbringt. 

Erfolgreiches Peer Tutoring heißt also, dass die Tutoren kollaborativ auftreten und nicht eine lehrerähnliche, überwachende Monitor-Funktion einnehmen. (Bruffee 1984: 83ff)

Literatur

Bruffee, Kenneth A. 1973. Collaborative learning. Higher education, interdependence, and the authority of knowledge. Baltimore: The Johns Hopkins University Press.

Bruffee, Kenneth A. 1978. The Brooklyn Plan: Attaining Intellectual Growth through Peer-Group Tutoring. In: Liberal Education 64 (1978): 447-68. 

Bruffee, Kenneth A. 1984. Collaborative Learning and the Conversation of Mankind. In: College English 46 (1984): 635-52. 

Gitterman. 2008. Collaborative Learning and Teaching. In: Writing Center Journal 28 (2008): 60-71.

Renkl, Alexander/Mandl, Heinz. 1992. A plea for "more local" theoriesof cooperative learning. Learning and Instruction, 2, 281-285.

Renkl, Alexander/Mandl, Heinz. 1995. Kooperatives Lernen: Die Frage nach dem Notwendigen und dem Ersetzbaren. In: Unterrichtswissenschaft 23 (1995) 4, S. 292-300, Aufsatz (Zeitschrift), Peer-Review, Allgemeine Erziehungswissenschaft.

 

Audio- und Videomaterial

Video:

https://www.youtube.com/watch?v=-0Vcf-p3--w 

https://www.youtube.com/watch?v=sAeCqGus9PU&list=PLCB03F8B4CAC1D88F

 


Bilder:

http://www.maastrichtuniversity.nl/upload_mm/e/b/c/3672573_Collaborativeweb.jpg

http://p5.focus.de/img/fotos/crop2670965/9958112305-cfreecrop-w961-h541-ocx0_y90-q75-p5/Auto-Mitarbeiter-bauen-in-dem-ersten-aussereuropaeischen-Volvo-Werk-in-der-suedwestchinesischen-Metropole-Chengdu-eine-Langversion-des-Modells.jpg

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